Leben mit dem Tod...

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Das Leben mit dem Tod, Berufung für den Totengräber. Das Leben mit dem Tod, Berufung für den Totengräber.

Das Leben mit dem Tod, Alltag für den Totengräber

Sterben und Tod sind in unserer Gesellschaft „Tabu-Themen“. Dabei trägt jeder Mensch den Tod wie in einem unsichtbaren Rucksack immer mit sich. Weil eben Sterben und Tod ein Abschluss des irdischen Lebens ist. Ähnlich wenn der Bühnen-Vorhang fällt und das Ende eines Theaterstückes anzeigt. „Die schene Leich“ prägt bereits zu Lebzeiten zahlreiche Wiener. In dieser Serie geht es um Sterben und Tod ... Gedankliche Mitwirkung des Bestattungsunternehmens Hans Radaschitz in Riegersburg.

von Walter MEISTER

Es ist früh am Morgen, ein kühler verregneter Herbsttag, „Totenstille“ am Friedhofseingang. Aber wenn man ganz genau hinhört, vernimmt man ein ganz leises Geräusch, ein leises Scharren, so als ob jemand etwas umgraben würde. Ein Stück weiter im Inneren des Friedhofes sieht man ihn dann schon, den Totengräber. Er hat bereits einige „Stiche“ gemacht, die Erde ist sehr matschig, man kann schon erahnen, dass diese Arbeit keine leichte Aufgabe ist.

„Guten Morgen Luis, Servus Manuel, wie geht’s euch?“ „Scheiß Wetter heute, aber was soll’s, bis zu Mittag werden wir es schon schaffen.“ Hört man eine leicht verschnupfte Stimme antworten. Gott sei Dank ist das nicht immer so, wissen die beiden zu berichten, ansonsten hätten sie den Beruf schon gewechselt. Was mich gleich zu meiner nächsten Frage bringt, wie kommt man auf die Idee, Totengrä­ber zu werden? Luis (ist bereits 62 Jahre) hat schon als Kind seinem Vater, der auch Totengräber war, ge­holfen.

Immer wieder waren Situationen, welche sein Vater alleine nicht schaffen konnte und somit war klar, dass Luis ihm half und letzt­endlich nach dem Tod seines Vaters diese Aufgabe vollends übernahm. Bei Manuel war es purer Zufall, der 36-Jährige war vor einigen Jahren nach einer KFZ-Lehre arbeitslos und stolperte in Graz über die Stellen­ausschreibung der Friedhofsverwaltung des Zentralfriedhofes. Nun kenne ich beide schon einige Jahre und habe das Gefühl, die Arbeit macht beiden Freude und so schwer der Job auch ist, den Humor hat kei­ner verloren. Man möchte meinen, der Totengräber ist ein „todernster und todlangweiliger“ Beruf, aber nein, es ist ein Job wie jeder andere auch, mit Höhen und Tiefen. „Ich kann doch nicht mit jedem mit­wei­nen, da würde ich ja verrückt werden. Natürlich gibt es Momente, wo man doch sehr über das Leben zu grübeln beginnt... was bleibt von uns, wenn wir gehen?“

Von der technischen Seite betrach­tet kann es 15-40 Jahre dauern, bis ein Leichnam im Grab verwest, je nach Bodenbeschaffenheit kann es sogar zu sogenannten Wachsleichen kommen. Durch die hohe Feuchtig­keit (auch durch zu viel gießen) fehlt der Sauerstoff für die nötige Verwesung, es kommt zu einer „Verseifung“ der Fettschicht unter der Haut, welche die Leichenteile Mumifi­zie­ren lässt. Bei solchen Wachslei­chen sind oft sogar noch Gesichtszüge zu erkennen. Mitte der 60er Jahre bis ca. Ende der 70 er Jahre wurden Verstorbene in Leichensäcken eingehüllt und so mit dem Sarg bestattet, wenn diese heute zum Vorschein kommen, sind sie vollständig erhalten, samt Haut und Haar.

Ungefähr bei der Hälfte der Grube angelangt, den Regenmantel über­gestreift, schaut mich Manuel an und meint: „Wenigstens brauchen wir uns nicht fürchten, dass das Loch einbricht.“ „Wieso?“, frag ich, „ist das schon mal passiert?“. Wenn ein Grab ausgehoben wird, gräbt man ca. 1,80 cm tief ins Erdreich hinunter und je nach Beschaffenheit des Bodens kann es schon passieren, dass das Material nicht hält und einstürzt, oder durch das viele Wasser kommt es zu Ausschwemmungen, was das Ganze natürlich auch gefährlich werden lässt, erzählen mir beide ganz nüchtern.“ Einmal ist mir sogar ein Grabstein in die offene Grube gefal­len, zum Glück ist mir nichts passiert, aber das war eine Schinderei bis ich den wieder herausgearbeitet hatte“, setzt Luis noch einen drauf.

Das Wetter ist sowieso einer der größten Herausforderer der Totengräber. Manchmal ist es nass und kalt so wie heute und manchmal heiß und im Winter ist es oft so gefroren, da hat man keine Chance mit dem Spaten, da kommt der Schremmhammer zum Einsatz. Zwei Stunden stemmen, bis der Spaten das erste Mal zum Einsatz kommt. „Wie Beton waren die ersten 15 cm.“ „Seid ihr dann immer rechtzeitig fertig geworden, bevor der Leichenzug zum Friedhof kam?“, fragte ich neugierig. „Es ist sich noch immer ausgegangen, auch wenn es knapp war“, beide lachen, „Sogar wie der Bestatter uns vergessen hat zu informieren und wir erst am selben Tag der Beerdigung, am Vormittag den Auftrag erhalten haben.“

Jetzt kann man den Totengräber fast nicht mehr sehen, noch ein paar Stiche und die Tiefe ist erreicht. Bis zum oberen Rand der Stiefel in Matsch und Wasser versunken, schaut Manuel aus dem Grab heraus und meint: „ Pass auf, ich komm jetzt raus.“ Der Spaten und die Schaufel zuerst, dann kommt er über die Spreiz­hölzer kletternd zu uns herauf. Wie wenn es was bringen würde, wischt er mit beiden Händen über seine nasse, verschmierte Kleidung. „Abdecken noch und fertig.“

Ruhig und gelassen machen beide das Grab für die Beisetzung fertig, die Hälfte ist geschafft. In ca. 2 Stunden wird wieder zugeschaufelt und alles rundherum sauber gemacht. „Wenn wir Glück haben, ist es beim Zumachen schon trocken, zumindest von oben herunter!“ meint Luis ganz zuversichtlich. „Ihr nehmt das so locker, ohne zu jammern, lässt einen der Beruf so abstumpfen, wird man, wie es in einem Lied heißt, ,Kalt und immer Kälter’ oder doch zufriedener und sensibler?“, frage ich die beiden. „Kalt und kälter wird’s im Winter, nein Spaß beiseite, man wird auf alle Fälle gelassener und nachdenklicher, man merkt schon bewusster, was im Leben wichtig ist. Alles, was wir auf Erden haben, können wir nicht mitnehmen und so wird man ganz sicher zufriedener mit dem, was man hat“, sind sich beide einig. „Luis, du bist auf der Zielgeraden und gehst deiner Pensionierung als Totengräber mit großen Schritten entgegen, was würdest du deinen doch noch sehr jungen Kollegen auf seinen Weg mitgeben?“ Er zögert einen Moment und meint: „Ruhe bewahren und weitermachen!“

„Wie würdet ihr euren Beruf in einen Satz beschreiben, was macht euren Beruf aus?“ will ich nach getaner Arbeit wissen. Nach kurzem Zögern kommt eine Antwort, wie sie sicherlich keiner erwartet hätte. „Es ist der einzige Beruf, den jeder Mensch in Anspruch nimmt.“

Das Leben mit dem Tod, Berufung für den Totengräber. „Danke Jungs für eure Arbeit, danke, dass ihr auch für meine Fragen Zeit hattet, trotz des ,Scheiß Wetters’. Pfiat euch, bis später”, aber bevor ich gehe, brennt doch noch eine Frage in mir: „Gibt es die ,schene Leich’ wirklich?“ „Ja, sicher!“ kommt von beiden gleich­zeitig die Antwort und sie schauen sich lachend an. „ Und habt ihr schon eine gesehen?“ bohre ich weiter. „Ja schon einige“, grinsen beide ganz spitzbübisch.

Süd-Ost Journal

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